Dies ist eine Übersicht über den Vortrag meiner Kommilitonen. - Das nachfolgende Handout ist ebenfalls von Ihnen erstellt.
Die Impulse sind von unserem Dozenten.
Einordnung: Warum Games in die Kunst?
Seit den 1990er-Jahren sind Videospiele in Medien- und Netzkunst angekommen: als interaktive, immersive und gesellschaftlich aufgeladene Räume (Gewalt, Macht, Gender, Kapitalismus). Aus dieser Praxis heraus wird Game Art nicht länger als bloße Unterhaltung, sondern als eigenständige künstlerische Ausdrucksform verstanden – mit ästhetischen, narrativen und ludischen Qualitäten, die klassische Kunstbegriffe erweitern. Games werden so zum Material, Medium und Sujet künstlerischer Forschung.
Strategien der Aneignung
KünstlerInnen greifen Spiele auf vielfältige Weise auf – von der kritischen Umdeutung bis zur Produktion eigenständiger „Art Games“:
- Modding: Veränderung bestehender Spiele (Level, Regeln, Figuren), um Bedeutungen zu verschieben und Machtmechaniken offenzulegen.
- Machinima: Nutzung von Game-Engines zur Herstellung narrativer Videokunst.
- Parodie & Kritik / Reenactment: Subversion dominanter Genres und Re-Inszenierung realer Ereignisse im Spielkontext.
- Glitching & Hacking: Zweckentfremdung von Mechaniken als ästhetische Irritation und Systemkritik.
- Games als Werkzeug/Sujet: Engines als Produktionsumgebungen; Spielewelten und -ästhetiken als Bildthemen.
- Eigene Art Games: Als künstlerische Werke konzipierte Spiele, die mit Konventionen brechen.
Ästhetische & mediale Besonderheiten
Game Art macht die Spezifika des Mediums produktiv:
- Narrativität: Nicht-lineare Erzählweisen, multiple Pfade und fragmentierte Stories.
- Ludizität: Die Mechanik selbst (Regeln, Ziele, Steuerung) wird zum Thema.
- Visualität: Von Pixel-Art/Retro bis Hyperrealismus; UI-Design und „Screen-Ästhetik“ als Bildsprache.
- Hypermedialität: Verknüpfung von Bild, Text, Sound, Interaktion; das „Spiel als Gesamtkunstwerk“.
Macht, Kontrolle und Ideologie
Künstlerische Positionen untersuchen Macht im Spiel auf vier Ebenen:
- Spielmechanisch: Wer kontrolliert was? Wer kann gewinnen, handeln, scheitern?
- Narrativ: Wessen Geschichten werden erzählt, wer bleibt unsichtbar?
- Strukturell: Wer entwickelt Spiele, wer hat Zugang zu Tools/Produktionsmitteln (Indie vs. AAA)?
- Ideologisch: Welche Werte (Militarismus, Sexismus, Konsumismus) werden normalisiert – und wie lassen sie sich unterlaufen?
Die Antworten reichen von der Dekonstruktion von Ziel- und Sieglogiken (The Graveyard) über die Thematisierung von Gewalt (The Path) bis zur Repräsentation marginalisierter Perspektiven (Queers in Love at the End of the World) und zur Subversion per Modding (DOOM: The Gallery Experience).
Subjektivierung & Performativität
Spielen ist performativ: SpielerInnen werden zu MitgestalterInnen, übernehmen Rollen, verhandeln Identität und Agency. Auch künstlerische Praktiken im Spiel (Let’s Plays, Walkthrough-Performances) verschieben AutorInnenschaft – zwischen Spielsystem, Spielendem und Publikum.
Queere Perspektiven: „Video Games Have Always Been Queer“
Anknüpfend an Bonnie Ruberg wird Queerness nicht nur als Repräsentationsfrage, sondern als Lese- und Spielweise verstanden: Queere Strukturen stecken in Mechaniken, Affekten und Fehlschlägen; „queer spielen“ heißt, Normativität zu unterwandern – in Narrativen, Körperbildern und Zielsystemen. Diese Perspektive macht Vielfalt sichtbar, die in der Spielkultur immer schon vorhanden war, und öffnet ästhetische wie politische Räume jenseits hegemonialer Muster.
Fallbeispiel: Tale of Tales, The Graveyard (2008)
Das Fallbeispiel war für mich besonders herausstechend, weil The Graveyard typische Spielmechaniken radikal aufbricht. Anstatt Ziele zu verfolgen, Fortschritte zu machen oder einen Sieg zu erringen, übernimmt man die Kontrolle über eine alte Frau, die langsam über einen Friedhof schlendert, sich auf eine Bank setzt und dort verweilt. Interaktion ist auf diese einfachen Bewegungen reduziert.
Statt Aktivität und Handlungsmacht erfährt man Verlangsamung, Passivität und eine ungewohnte Entmachtung. Dadurch rückt das Spiel existenzielle Themen wie Vergänglichkeit, Altern und Tod in den Vordergrund und eröffnet eine fast meditative Erfahrung. Die stille Atmosphäre des Friedhofs lenkt den Blick weg von Wettbewerb und Aktion hin zu kontemplativer Reflexion.
The Graveyard macht deutlich, wie Games auch jenseits von Unterhaltung und Leistung als künstlerische Werke funktionieren können. Tale of Tales positionieren ihr Spiel bewusst als Kommentar, der die Grenzen des Mediums Computerspiel austestet und zeigt, dass Spiele – ähnlich wie Literatur oder Film – Räume für Nachdenken, Emotionalität und philosophische Auseinandersetzung schaffen können.
Didaktische Impulse
Für Unterricht und Vermittlung bieten sich Analyse- und Produktionsaufgaben an: Mod-Skizzen (Ziel/Regel-Shift), kleine Machinima, Retro-UI-Remixe, oder Kurz-Prototypen, die Macht- und Repräsentationsfragen im Spiel erfahrbar machen. So wird Medienkritik handlungsorientiert.
Fazit
Game Art zeigt, wie ästhetisch, narrativ und ludisch Spiele als Kunst wirken – und wie sie Machtordnungen sichtbar, verhandelbar und veränderbar machen. Zwischen Immersion und Regelbruch, Parodie und Queerness entstehen Werke, die digitale Kultur reflektieren und transformieren: Videospiele sind nicht nur Gegenstand, sondern Werkzeug kritischer Kunst- und Gesellschaftsanalyse.
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